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„Eine Prise Astronautenfeeling“

Capoeira-Training in Zeiten der Corona-Krise

Hallo? Hallo? Jemand hier? Seid Ihr noch da? Schon verrückt, da bleibt man mal 10 Tage zu Hause und schon kommt man sich vor wie der letzte Mensch auf diesem Planeten. Ich hoffe sehr, dass es Euch gut geht und dass Ihr in Euren Wohnungen das Beste aus der aktuellen Situation macht. Ich versuche, mir jeden Tag die Zeit für etwas Bewegung zu nehmen, weil ich finde, dass das ein bisschen gegen den beginnenden Lagerkoller hilft.

Wenn Ihr Ideen sucht, wie man sich zu Hause sportlich betätigen kann – dazu habe ich letzte Woche hier und hier bereits ein paar Vorschläge aufgeschrieben.

Ist Trainieren während der Corona-Pandemie eigentlich riskant?

Sollte man während der landesweit noch immer steil ansteigenden Infektionskurve denn überhaupt trainieren? Petra Platen, Leiterin des Bochumer Lehrstuhls für Sportmedizin und -ernährung, bestätigt, dass auch Freizeitsportler*innen während und nach hohen Belastungen besonders anfällig für Virusinfekte seien (Quelle: ZDF heute). Die Diskussion über Risiken des Trainingsbetriebes wurde unter anderem vom Kanadischen Olympischen Komitee (COC) losgetreten, das entschieden hat, keine Athleten zu den Olympischen Spielen nach Tokio (mittlerweile verschoben, Anm. d. Red.) zu entsenden. Das COC erklärte, dass „es für unsere Athleten nicht sicher (sei), für die Spiele zu trainieren. Tatsächlich ist es das Gegenteil der öffentlichen Gesundheitsratschläge (…)“.

Ich denke, es ist erwiesen, dass regelmäßige Bewegung das Immunsystem stärkt. ABER „viel hilft viel“ ist in diesem Fall vielleicht nicht das Gebot der Stunde. Wir befinden uns schließlich in einer historischen Virusepidemie und nicht in der Vorbereitung auf einen Wettkampf. Niemand muss ausgerechnet jetzt persönliche Rekorde brechen. Außerdem sollte es im Interesse jedes Einzelnen liegen, sich jetzt gerade keine (schwerwiegenden) Sportverletzungen zuzuziehen, denn wie es momentan um die Krankenhäuser bestellt ist, ist auch bekannt. Also, trainieren ja, aber bitte mit Köpfchen!

Auswirkungen auf die Capoeira-Community

Die Aktivitäten der europäischen und vermutlich bald auch der brasilianischen bzw. weltweiten Capoeira-Szene sind fast komplett zum Erliegen gekommen. Kein Wunder, denn Capoeira lebt ganz stark von und durch die Gemeinschaft. Wer als Lehrer von der Capoeira lebt, steht vor großen Herausforderungen. Alle Events und Workshops sind abgesagt, reguläre Trainings finden nicht statt. Auch ehrenamtliche Trainer sind von Verdienstausfällen und der Neuorganisation ihres Alltages betroffen. Finanziell ist der Corona-Lockdown natürlich auch für unsere Gruppe eine große Herausforderung – denn unsere Verbindlichkeiten laufen weiter. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Mitglieder bei der Stange bleiben, auch wenn wir momentan auf unser geliebtes gemeinsames Training verzichten müssen und noch nicht wirklich abzusehen ist, wann der Alltag zurückkehren wird.


Wir trainieren jetzt online

Wir haben das große Glück, in einem technologisch fortschrittlichen Zeitalter zu leben. Okay, der Netzausbau in Deutschland ist längst nicht da, wo er eigentlich sein sollte. Aber verglichen mit vor, sagen wir mal 30 Jahren, haben wir heute ganz andere Möglichkeiten. Damals hätten wir in der gleichen Situation vor einem Telefon mit Wählscheibe gesessen und bei jedem längeren Anruf in die nächste Stadt horrende Telefonrechnungen produziert. Heute streamen wir uns bei Netflix einmal durch die Serienlandschaft oder (noch besser!) treffen unsere Trainingskollegen über Skype oder Zoom in einem virtuellen Chatroom. Schon eine Woche nach Beginn des verordneten Stubenarrestes haben alle unsere GCB Trainer Online-Trainings organisiert, an denen unsere Mitglieder von zu Hause aus teilnehmen können. Den Link zum Einwählen erhält man beim jeweiligen Trainer (Probetraining für Interessierte und Drop-In für Mitglieder anderer Gruppen natürlich jederzeit möglich).

Auch für Capoeiristas, die feste Termine nicht einhalten können, gibt es eine Lösung: Die Kindertrainer in Darmstadt geben ihren Kids per Videobotschaft regelmäßig „Capoeira-Hausaufgaben“ (siehe oben), was von diesen begeistert angenommen wird. Auch die FTG in Frankfurt (Heimat der Frankfurter GCB Gruppe, Anm. der Red.) produziert in Zusammenarbeit mit unseren Trainern Übungsvideos, die man zuhause mit- oder nachmachen kann (hier gehts zum Training mit Professora Oncinha (Erwachsene)

und Graduado Alongado (Kinder/Jugendliche). Ihr seht, nur weil wir nicht raus dürfen, bedeutet das keinesfalls, dass wir nicht trainieren!

Pros & Cons

Ich habe innerhalb der letzten Woche verschiedene GCB-Online-Trainings besucht. Vorneweg: Nein, Online-Training ist für mich kein vollwertiger Ersatz für unser reguläres Training und ganz sicher nicht die alleinige Zukunft. Dafür bildet das Internet zwischenmenschliche Interaktion einfach nicht gut genug ab; es bleibt eine Prise „Astronautenfeeling“ - jeder für sich in seiner Raumkapsel. Man kann natürlich keine Partnerübungen machen. Und ständig stößt man sich irgendwelche Körperteile am Billy-Regal. Bisweilen leidet der Stream unter dem Datenvolumen und die Verbindung ist plötzlich wackelig. Trotzdem gibt es unbestritten auch einige Vorteile. Es gibt uns die Möglichkeit, unsere Trainingskollegen zu treffen. Und: Im Internetzeitalter ist es egal, ob Professor Fogo aus dem Woogsviertel streamt oder Professor Curioso aus Cork (Irland) ein Gasttraining leitet. Ganz unkompliziert und klimafreundlich auf Knopfdruck.


Außerdem kann man mithilfe der eigenen Bildschirmkamera die eigenen Bewegungen genau verfolgen (je nach Einstellung den eigenen Videostream sogar dem des Trainers gegenüberstellen, siehe Bild links), und so mit eigenen Augen in real-time abgleichen, ob das, was man tut, auch nur annähernd so ähnlich aussieht wie die gezeigte Übung. Sehr praktisch!

Ich denke wir werden wie immer das Beste aus der neuen Situation machen und im Nachhinein durchaus auch Erkenntnisse mitnehmen, die uns für unser zukünftiges Capoeira weiterbringen. Ansonsten hat der eine oder andere jetzt vielleicht mehr Zeit, um Capoeira-Videos zu schauen und sich dabei schon auf die nächste Roda zu freuen. Im Real Life, ohne Bildschirme und Technikprobleme, dafür mit Live Batería und ganz viel Axé! Ich kanns kaum erwarten, und ihr?

Eure Emcima

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